Fußball ist in Nordmazedonien die wichtigste Nebensache. Das Land kämpft um Anerkennung und die Aufnahme in die Europäische Union, seine multiethnische Bevölkerung um fair bezahlte Jobs und gegen Armut. Der Sport hat einen hohen Stellenwert, im Stadion wie in der Schule. Soziale Sportprojekte benötigen allerdings kräftige finanzielle Hilfen und auch Druck seitens der UEFA. sportsbusiness.de war zum Lokalaugenschein in Skopje.
++ sportsbusiness.de exklusiv von Matthias Führer ++
Die Bahnhofsuhr Skopjes zeigt 5.17 Uhr. Jeden Tag, zu jeder Zeit. Es war der 26. Juli 1963, als die Uhr stoppte und das Leben in Skopje fortan ein anderes sein sollte. So viel Leid, Wut und Trauer der Zerfall Jugoslawiens und die folgenden ethnischen Konflikte – insbesondere in den 1990er-Jahren – ausgelöst haben: Es war ein Erdbeben, welches das Leben einer ganzen Stadt und Nation veränderte. Über 1.000 Menschen starben, 75 Prozent der Bevölkerung verloren ihr zu Hause. Viele Einheimische bezeichnen dieses Naturereignis nach wie vor als die größte Katastrophe in der jüngeren Geschichte des kleinen Nordmazedoniens (Bevölkerungsgröße von ca. 2 Millionen).
Nicht nur Sportfans wird vor einigen Jahren aufgefallen sein, dass das südlichste Land Ex-Jugoslawiens seit dem 12. Februar 2019 offiziell unter dem Namen Nordmazedonien geführt wird. Aufgrund historischer Ansprüche Griechenlands auf den Namen Mazedonien beschloss das Parlament die entsprechende Namensänderung. Nordmazedonien hat in seiner 32-jährigen Geschichte nach der Loslösung von Jugoslawien jedoch nicht nur eine Namensänderung hinter sich, sondern seit 1995 auch eine neue Nationalflagge.
Im Nationalstadion Toše-Proeski-Arena ist davon relativ wenig zu bemerken. Beim Besuch des UEFA EM-Qualifikationsspiels Nordmazedonien vs. Italien am 9. September 2023 schwenkten die Fans neue wie alte Flaggen. Die alten Fahnen, geziert mit dem Stern von Vergina, werden vor den Stadiontoren nach wie vor verkauft und von den Menschen gerne angenommen. Vielleicht, weil ihnen die Flagge ebenfalls von Nachbar Griechenland streitig gemacht wurde, der die exklusiven Rechte für die Verwendung des sechzehnstrahligen Sonnensymbols erstritten hat. Viele Fans wollen auch den alten Namen ihrer Heimat nicht aufgeben. Die Bezeichnung Nordmazedonien lehnen etliche Gesprächspartner*innen ab oder reagieren sichtlich irritiert. Abseits davon feierten über 20.000 Zuseher*innen, mazedonischer wie albanischer Abstammung, Seite an Seite das 1:1 ihrer Fußballmannschaft gegen Italien.
„Nationalismus, Gewalt und ethnische Konflikte sind nicht der Grund, warum vor allem junge Menschen zahlreich das Land verlassen”, sagt Irena Bakrevska Miloshevska. „Es sind die ökonomische Situation, der zu geringe Lebensstandard, der schlechte Verdienst und die Aussichtslosigkeit”, die viele Menschen insbesondere Richtung Europäische Union ziehen lässt. Eine Beobachtung, die mehrere Gesprächspartner*innen während des Aufenthaltes in Skopje teilen. Eine, die nach langen Jahren im Ausland wieder zurückgekehrt ist, ist Irena. Sie arbeitet für den nordmazedonischen Fußballverband FFM. In der internationalen Abteilung ist sie an Spieltagen unter anderem für den VIP-Bereich verantwortlich, arbeitet aber auch als „Social Responsibility Manager”.
„Wir sind ein kleiner Verband, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben verschiedene Rollen”, sagt Irena. Sie ist stolz auf die vielen sozialen Projekte, die der Verband bereits umgesetzt hat oder noch umsetzen wird: Ein Erasmus-Projekt für Gendergleichstellung oder die intensive Zusammenarbeit mit Organisationen für Menschen mit Behinderung.
Vor neun Jahren, als sie ihren Job begonnen habe, gab es ihre Stelle noch nicht. Die UEFA unterstütze und mache Druck, auch deshalb tut sich seither etwas. Warum gibt es keine nordmazedonischen Fußballklubs, die mit sozialen Projekten auffallen? „Ganz einfach”, sagt Irena: „Viele Vereine haben nicht einmal einen vernünftigen Rasen zum Trainieren oder ein Stadion für Bewerbsspiele.“ Blazhen Maleski sieht ebenfalls große Versäumnisse, auch wenn er die Gründe dafür anders gelagert sieht. Der wissenschaftliche Mitarbeiter im United Nations Development Programme (UNDP) Nordmazedoniens kritisiert, dass die heimische Politik erst vor wenigen Jahren auf die Idee gekommen sei, Jugendarbeit finanziell zu fördern. Soziale Projekte und Inklusion sind auch darum nach wie vor kaum sichtbar.
Schulbesuch: Zu Gast in der Sveti Naum Ohridski
Ein sichtbares Beispiel findet sich aber in der Sveti Naum Ohridski Schule, die auch ein Spiegelbild für den Besuch in Nordmazedonien ist: Die Erwachsenen überschlagen sich in ihren Worten, die Jugendlichen lachen, die Fußballtrainerin strotz vor Energie und ein Lehrer fotografiert pausenlos. Die Bevölkerung Nordmazedoniens präsentiert sich freundlich, offen und lebenslustig: „Wir lieben die Musik und wir wollen Spaß haben – Tag und Nacht. Um 22 Uhr muss bei uns keine Musik abgedreht werden,” spielt Schulpsychologin Magdalena auf die aus ihrer Sicht oft strengen westeuropäischen Standards an.
Im gepflasterten Fußballkäfig im Innenhof der Oberstufen-Schule geht es ordentlich zur Sache. Die Jugendlichen laufen und passen, sie schießen Tore und jubeln. Snezhana besitzt das UEFA A-Diplom und leitet als externe Trainerin zweimal wöchentlich das Schultraining. Da es sich um einen sonderpädagogischen Standort handelt, unterstützt der nordmazedonische Fußballverband diese Schule finanziell, ebenso wie mit Personal und Equipment. Das Projekt läuft erst seit Anfang 2023. Durch entsprechende Förderungen soll in Kürze auch ein Kunstrasen statt des gefährlichen Asphaltbodens entstehen.
„Fußball ist ein schöner Weg, um gemeinsam zu wachsen und sich gegenseitig zu respektieren.“
„Wir sind ein multiethnisches Land”, sagt nicht nur Schuldirektor Zlatko. Auch Irena vom nordmazedonischen Fußballverband, Blazhen Maleski oder viele weitere Personen streichen das hervor. Probleme zwischen ethnischen Albaner*innen und Mazedonier*innen gäbe es zunehmend weniger im Land, so die Beteiligten. Im männlichen Fußballnationalteam Nordmazedoniens mischen sich ethnische Albaner und Mazedonier in einem ausgewogenen Verhältnis. Innerhalb der Bevölkerung machen die ethnischen Mazedonier*innen mit rund 65 Prozent die klare Mehrheit aus. Die albanische Minderheit hat in etwa 25 Prozent Bevölkerungsanteil, die weiteren zehn Prozent verteilen sich auf ethnische Türk*innen, Roma, Serb*innen und Bosnier*innen.
Ethnische Fragen, Fragen zu Nationalität oder Grenzziehung können immer zu Verstimmungen oder schlimmstenfalls zu Protesten führen, sagt Irena. Zlatko, Blazhen und Irena glauben aber, dass der Höhepunkt an ethnischen Konflikten in den 1990er-Jahren überwunden wurde. „Die Leute sind müde davon geworden, es bringt uns nicht weiter. Wir wollen uns Richtung Europäische Union entwickeln und wir wollen ein besseres Leben”, sagt Blazhen Maleski. „Und der Fußball ist ein schöner Weg, um gemeinsam zu wachsen und sich gegenseitig zu respektieren“, so Irena mit der wohl wichtigsten Botschaft unserer Nordmazedonien-Reise.
Dieser Text entstand im Rahmen von eurotours 2023, einem Projekt des Bundeskanzleramts, finanziert aus Bundesmitteln.