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„Man folgt eher dem Geld als mitteleuropäischen moralischen Standards“ [Exklusiv]

(c) Gepa Pictures

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Die Sponsorenlandschaft im Sport änderte sich in den vergangenen Jahren zum Teil drastisch. Patrick Seitter, Mitglied der Geschäftsleitung beim ESB Marketing Netzwerk, und Reinhard Grohs von der Privatuniversität Seeburg blicken hinter die Sponsoringkulissen.

++ sportsbusiness.de exklusiv von Georg Sohler ++

Die Welt ist bekanntlich im Wandel, die Globalisierung zumindest Stand heute kaum aufhaltbar. Diese Entwicklung macht auf den ersten Blick auch vor dem Sport nicht Halt. Als das letzte Mal eine Fußballeuropameisterschaft im D-A-CH-Raum stattfand, hießen die weltweiten Sponsoren noch Adidas, Continental, Castrol und BenQ, dazu kamen damals UEFA-Eurotop genannte Sponsoren, namentlich Carlsberg, Coca-Cola, Hyundai und Kia, JVC, Mastercard und McDonald’s. Nun, 16 Jahre später, hat sich die Sponsorenlandschaft gewandelt. Continental (Deutschland), Castrol (UK) und BenQ (Taiwan) sind nicht mehr mit dabei, genauso wenig wie Carlsberg (Dänemark), Hyundai/Kia (Südkorea), JVC, Mastercard und McDonald’s (USA). Neu sind beispielsweise Alopay, BYD, Hisense, Vivo (China) oder Visit Qatar. Aber auch Atos (Frankreich) oder Booking.com (Niederlande).

Es ist einiges in Bewegung, das ist leicht erkenntlich. Es ist ein Shift weg von klassischen Sponsoren aus Nordamerika, Europa und den aufgrund der Ausrichtung als „westlich“ zu bezeichnenden Sponsoren aus Japan, Südkorea und Taiwan hin zu anderen Weltregionen. Erwähnenswerte große Player wären übrigens noch Aramco (Saudi-Arabien) und russische Unternehmen wie Gazprom oder Lukoil. Allerdings spielen letztere seit dem russischen Überfall auf die Ukraine keine große Rolle mehr.  Das ist alles offensichtlich, doch welche Strategien verfolgen die großen Marken und welche Trends sind zu beobachten?

Sponsoren kommen, Sponsoren gehen

„Bis in die 2000er-Jahre gab es einen starken Fokus auf Europa und USA“, erklärt Reinhard Grohs, Professor an der Privatuniversität Seeburg im Bereich Sportmanagement. Neben den erwähnten großen und globalen Marken positionieren sich auch immer lokale Partner im Umfeld von großen Events. Um die Euros 2008 und 2024 heranzuziehen: In Österreich war etwa die Post Partner, in Deutschland wird es beispielsweise die Deutsche Bahn sein. Doch (spätestens) seit der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea gibt es aus seiner Sicht zwei Trends zu beobachten. Eben einerseits Sponsoren, die nicht aus dem globalen Norden stammen, heutzutage namentlich vor allem aus China und dem arabischen Raum, ferner eben Russland. Sie existieren nicht nur, sondern haben auch viel Kapital „Die Sponsoren aus diesen Regionen sind in den letzten zwei Jahrzehnten noch viel potenter geworden.“ Doch es heißt nicht mehr nur Alipay statt Mastercard und BYD statt Hyundai, andererseits verändern sich auch die Branchen, die investieren.

„Wir beobachten in den letzten Jahren eine Veränderung“, erklärt Patrick Seitter, Mitglied der Geschäftsleitung beim ESB Marketing Netzwerk. Früher hätten die Industrie, die Automobil- und Telekommunikationsbranche viel Geld hergegeben, später der ‚klassische‘ IT-Bereich. „In dem Bereich sehen wir international keine großen Steigerungsraten, da und dort reduzieren sich die Spendings, weil es der Wirtschaft in manchen Sektoren schlichtweg nicht gut geht“, führt er aus. Oder weil die Summen, die chinesische Technikunternehmen oder saudische Öl-Fonds bereit sind zu zahlen, nicht mitgehen können oder wollen. Aber eine EM in Deutschland ohne schwarz-rot-goldenen Autobauer, sondern mit Elektroautohersteller BYD aus China? „Das ist wirklich überraschend.“ Elektro statt Verbrenner, das geht allerdings noch als Autoindustrie durch. Die erwähnten neuen Branchen sind etwa im Bereich Tourismus und eCommerce zu finden. Auf höchster Ebene wären die Beispiele Visit Qatar oder booking.com. Dass sich Sponsoren und Branchen wandeln, ist allerdings, da sind sich beide einig, nicht wirklich überraschend. Hieß der Trend vor drei Jahren noch Crypto, ist es nun eher Tourismus. So weit, so normal. Manche Trends wie Crypto waren nur kurzlebig, man wird sehen, wie sich das beispielsweise hinsichtlich eCommerce entwickelt. 

Menschenrechte? Welche Menschenrechte?

Der Sport, das zeigte gerade die Cryptoblase, denkt weniger darüber nach, wo das Geld herkomme. Weil die Budgets ohnehin kurzfristiger und kürzer ausgedealt werden, interessiert es kaum, wo das Geld herkommt. Auch wenn es im Fall von Crypto viel Risikokapital ist. Solange man ein Event durchführen konnte, ist das gut so, wie Grohs beobachtet: „Weder Verbände noch Vereine schauen da ganz genau hin.“ Warum die Firmen das mach(t)en? Das Zauberwort heißt Signaling: „Firmen aus neuen Branchen haben oftmals ein Problem darzustellen, wie erfolgreich sie sind. Es ist belegt, dass Aktienkurse insbesondere für digitale Unternehmen, die keine angreifbaren Produkte herstellen, steigen, wenn große Sponsorings hergezeigt werden können.“ Auf den Punkt gebracht: Wenn ein Event im Sommer 2022 stattfinden konnte und ein sponsorendes Unternehmen 2024 nicht mehr existiert, ist das egal, wie und woher das Geld kam. In einem anderen Themenbereich wird genauer hingeschaut, zumindest auf der Oberfläche. Das Thema heißt Sportswashing.

Denn – euphemistisch ausgedrückt – China, der arabische Raum oder Russland haben eine andere Vorstellung von Menschenrechten. Staatsfirmen und -fonds wollen auch nicht unbedingt mehr verkaufen. Aramco beispielsweise ist schon der größte Erdölproduzent der Welt. Man möchte sich mit Sponsorings auf der großen Bühne als Partner der Welt präsentieren. Für Events heißt das, so Seitter: „Europäische oder US-amerikanische Unternehmen können da nicht immer konkurrieren, weil es andernorts ganz andere Budgets gibt.“ Das führe in weiterer Folge zu einem „Dilemma zwischen Geld und Gewissen.“ Wenn Unternehmen durch neue Player Marktanteile verlieren und somit Sponsorings zurückfahren müssen, stößt jemand anderer in diese Lücke. Der eine oder andere Veranstalter setze in Sachen Sponsoren auf seine Prinzipien, das Attest von Seitter mag aber ernüchtern: „Momentan sieht man in Bezug zu größeren Events, dass diese im internationalen Bereich eher dem Geld folgen als den mitteleuropäischen moralischen Standards.“

Den Markt einschätzen

Letztlich komme es immer darauf an, welche Ziele ein Sponsoring verfolgt, welchen Effekt es haben soll oder welche Zielgruppe zu erreichen ist. „Sponsoring ist vielfältig. Unterschiedliche Engagements unterstützen unterschiedliche Ziele. Wer schnell internationale Bekanntheit aufbauen will, ist bei einem großen Sportevent gut aufgehoben, je nach Skalierung und Werbepräsenz. Das funktioniert“, weiß Seitter. So mag sich der eine oder andere bei der Fußballweltmeisterschaft der Herren in Russland 2018 gefragt haben, wer oder was Hisense sei. Mittlerweile ist der Fernsehgerätehersteller wohl allen ein Begriff. 

Darüber hinaus geht es eben nicht mehr immer nur noch um die paar hundert Millionen Europäer:innen und Nordamerikaner:innen. Die Fußball-WM ist ein globales Event, nur weil etwas ‚hierzulande‘ wenig Sinn zu machen scheint, muss das nicht auch für den Rest der Welt gelten. Die Globalisierung bietet da viele Möglichkeiten, sei es im Bereich eCommerce, FMCG oder sonstwo. Wer ein globales Publikum ansprechen will und kann, ist mit globalen Events gut bedient.  Eine gute Nachricht für Sportevents abseits des globalen Events ist, dass auch hier die Sponsoringsummen passen, siehe etwa die Handball-EM in Deutschland.

Same same, but different, könnte bis hierhin das Attest lauten. Beide Experten beobachten allerdings weitere spannende Entwicklungen. Anhaltend wichtig bleibe etwa Social Media, wie Grohs weiß. Aus gutem Grund: „Ein wesentlicher Aspekt ist das leichtere Matching.“ Marken und Sportler:innen finden sich schneller, teilweise auch durch automatisierte Plattformen. Durch das „Influencer:innentum“ würden auch Sportarten abseits der großen Bühne für Sponsoren relevant. Dank Auswertungen der Plattformen sind die Zielgruppen sehr gut definierbar, die Ergebnisse sehr gut messbar. Im Oktober 2023 erhob beispielsweise Meltwater die Top-Influencer:innen aus dem Bereich Sport/Fitness. In den Top10 befanden sich nur zwei Fußballer.

Die Digitalisierung bietet aber nicht nur hier neue Möglichkeiten. Man könne auch für ein und dasselbe Event in verschiedenen Regionen andere Sponsoren ausspielen. Grohs ortet hier unter Umständen noch Probleme am Horizont, wenn etwa Feeds mit Spielen von europäischen Klubs mit „dubiosen Wettanbietern“ verbunden werden. Noch interessiere dieser Aspekt aber die meisten Klubs und Sponsoren nicht.

Was natürlich noch dazu kommt, ist die Erweiterung des klassischen Sports durch Trend-/TV-Sportarten. Padel wäre ein Beispiel für einen Trend. Dort ist die Marke Cupra sehr präsent. Der Vorteil liegt auf der Hand, weil klassische Sportarten, Events und Co. durchaus protektionistisch sind. Als First Mover in einem neuen Markt mit Wachstumspotential tut man sich leichter. „Aber auch Events, die aus dem Unterhaltungsbereich kommen, können spannend sein für Sponsoren. Es gibt immer mehr Nische/Unterhaltungsprodukte, die parallel zum klassischen Sport stattfinden, ihre Berechtigung haben und Sponsoren andere Möglichkeiten bieten, auch, weil sie kommerzieller sind und flexibler hinsichtlich Marketing sind“, sagt Seitter. Dieser neuen Konkurrenz muss sich der Sport eben stellen, genauso wie dem Thema „Co-Exklusivität“, also dass sich 9:16-Snippets via TikTok und Co verbreiten. 

Doch am Ende stehen die Sponsoren vor denselben Aufgaben wie immer: Wie erreiche ich meine Ziele. Das gilt für einen deutschen Autobauer, genauso wie für eCommerce-Plattformen aus Fernost.

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