Seit der Ankündigung, dass der ORF im Zuge von Sparmaßnahmen seinen Sender ORF Sport + einstellen möchte, gehen die Wogen hoch. Im Exklusiv-Interview mit sportsbusiness.de erklärt Hans Niessl, Präsident von Sport Austria, wie der organisierte Sport darauf reagiert, und welche Schritte nun geplant sind.
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++ sportsbusiness.de exklusiv – das Gespräch führten Nils Daiker und Michael Fiala ++
sportsbusiness.de: Wie würden Sie die Beziehung zu ORF Sport + und den Stellenwert des Senders in den vergangenen Jahren als Sport Austria Präsident beschreiben?
Hans Niessl: „ORF Sport + hat für uns einen enormen Stellenwert. Einerseits, weil unsere Verbände immer wieder Wettkämpfe durchführen und diese auch immer versucht wurden, auf ORF Sport + mit Berichterstattung zu übertragen. Der Sender bringt neben Spitzensport und Breitensport auch verstärkt Frauen-, Behinderten- und Schulsport. Das ist auch die Aufgabe von ORF Sport +. Wir haben beispielsweise vor drei Jahren die Sport Austria Finals ins Leben gerufen, wo wir das letzte Jahr 6.500 Sportler aus 30 verschiedenen Sportarten in Graz hatten und auch da hat der ORF Sport + Übertragungen durchgeführt. Wir wollten auf den ORF Sport + immer motivierend wirken, damit wir eine klare Plattform für den österreichischen Sport haben.“
Haben Sie in den vergangenen Wochen gespürt, dass es ORF Sport + an den Kragen gehen könnte?
„Erst vor 14 Tagen waren wir mit der Frauenministerin und mit dem Sportminister in Linz und haben das erste Frauensymposium durchgeführt: „Frauensport und Frauen im Sport“. Wir waren uns vor zwei Wochen darüber klar, dass ORF Sport + eine ganz wesentliche Plattform ist und vor acht Tagen wird verlautbart, dass der Sender eingestellt werden soll. Da frage ich mich schon, warum man eine tolle Veranstaltung organisiert, die auch einiges kostet, und als Frauenministerin mit dabei ist und dann als Medienministerin der Einstellung von ORF Sport + zustimmt.“
Nach Corona, der Energiekrise und nun der Einstellung von ORF Sport +: Was sind Ihre größten Bedenken für die Zukunft der heimischen Sportwelt?
„Wir von Sport Austria wollen, dass sich Österreich von einem Sportland zu einer Sportnation entwickelt. Wir haben große Defizite in den verschiedensten Bereichen und wir als Sport Austria wollen diese Defizite aufzeigen und Beiträge dazu liefern, wie man diese Defizite beseitigt. Darf ich ausholen?“
Gerne …
„Die Weltgesundheitsorganisation sagt zum Beispiel, dass Kinder pro Tag mindestens eine Stunde Bewegung brauchen. Wenn man sich vorstellt, dass immer mehr Kinder in Ganztagesschulen unterrichtet werden und somit nicht die tägliche Bewegungsmöglichkeit haben, dann ist das eigentlich unvorstellbar. Deshalb muss man hier daran arbeiten, wie man es finanzierbar organisieren kann, die tägliche Bewegungseinheit umzusetzen. Das machen wir und haben auch schon Fortschritte erzielt. Zudem wurde vor wenigen Wochen eine Studie publiziert, die aufzeigt, dass die Österreicher zu jenen Bürgern in Europa gehören, die sich am wenigsten bewegen. Man muss also nicht nur im Kindesalter sondern bis hin zu den Senioren und Pensionisten unbedingt darauf schauen, welche Angebote und Motivationsmöglichkeiten es gibt um diesen Missstand abzustellen.
Außerdem versuchen wir es, den Frauen- und Behindertensport vermehrt in die Berichterstattung zu inkludieren. Die ÖFB-Damen haben unter anderem aufgezeigt, welche tolle Entwicklung Frauen in diesem Sport gemacht haben. Es ist auch ein Musterbeispiel dafür, dass Frauenfußball zuerst im ORF Sport + gesendet wurde und heute in der Prime Time auf ORF 1 läuft.“
Was ist der Kern Ihrer Kritik?
„Einer der Kernpunkte meiner Kritik ist, dass der ORF als öffentlich-rechtlicher Sender einen gesetzlichen Auftrag der umfassenden Sportberichterstattung hat. Der ORF hat zudem den Auftrag Menschen dafür zu motivieren Sport zu betreiben. Als öffentlich-rechtlicher Sender sollte man solche Aufträge ernst nehmen. ORF Sport + ist für uns ein Muss, sonst kann der ORF seinen gesetzlichen Auftrag nicht umsetzen.“
Welche Reaktion erwarten Sie sich vom ORF und von politischer Seite?
„Bereits die Ankündigung unserer gestrigen Sitzung hat dazu geführt, dass mich nun ORF-Generaldirektor Weissmann angerufen hat und natürlich sind wir von Sport Austria jederzeit gesprächsbereit. Sobald er einen Termin frei hat, kommen wir gerne zu ihm um über Konzepte für ORF Sport + zu sprechen. Das ist auf jeden Fall schon einmal eine positive Reaktion. Zusätzlich hat mich auch der Vizekanzler angerufen und hat seine Unterstützung zugesagt. Wir sind jetzt in Gesprächen und das empfinde ich als sehr gut, denn es muss untereinander kommuniziert werden. Der Sport braucht den ORF und der ORF braucht den Sport.
Sport Austria hat das wichtige Prinzip „Was bringen die Entscheidungen dem Menschen“ und wenn ORF Sport + zugedreht wird, dann haben die Menschen nichts davon, denn sie können den Sport dort nicht mehr genießen und die Vereine können sich nicht präsentieren und haben dadurch einen Millionen-Verlust an Werbewert.
Wir haben 1,9 Millionen Mitglieder bei unseren 15.000 Sportvereinen und das macht circa 50 Prozent der GIS-Gebührenzahler in Österreich aus. Zusätzlich haben wir auch laut Professor Helmenstein, Chefökonom der Industriellen Vereinigung, 24 Milliarden Euro an Wertschöpfung in Österreich. Wenn ich nun aber eine schlechte Berichterstattung habe, dann leidet jede Seite darunter, die Menschen betreiben weniger Sport, das Gesundheitssystem wird stärker belastet und die Wirtschaft wird mit 24 Millionen Euro Wertschöpfung nicht forciert und nicht weiterwachsen. Der österreichische Sport zahlt zudem acht Milliarden Euro an Steuern.“
Wie gehen Sie nun weiter vor?
„Wir werden nächste Woche einen kleinen Schwerpunkt setzen, was der ein oder andere Verband durch das Nicht-Senden von ORF Sport + verliert und was der Sender bis jetzt an Werbewert lukrieren konnte. Der Werbewert für die Verbände ist ein ungleich höherer als der ORF an Kosten einspart.“
Sind sie von der fehlenden öffentlichen Reaktion vom Vizekanzler enttäuscht?
„Ich habe das bei ihm auch angesprochen aber unser Sportminister ist der Meinung, dass er vielleicht in den nächsten Tagen noch etwas retten kann, was den Sport anbelangt. Er wird nun natürlich erstmal Gespräche führen und wird sich dann auch zu Wort melden. Er hofft darauf, dass er jetzt noch etwas für den Sport erreichen kann.“
Welche Zielsetzung hat Sport Austria: Soll eine Einstellung von ORF Sport + hinausgezögert werden oder geht es ganz klar darum, diesen Sender dauerhaft zu erhalten?
„Wir brauchen ein attraktives Konzept und das Einstellen von ORF Sport + ist kein Konzept, weil die Menschen nichts davon haben. Ein neues Finanzierungssystem zu schaffen, bietet für mich die Möglichkeit, einen neuen Sportchef beim ORF Sport + zu haben und bedeutet, dass sich neue Gedanken gemacht werden müssen und das wäre in vielen Bereichen ein Neustart. Eigentlich wurde das Budget des ORF Sport + so kurzgehalten, dass sie offiziell sogar keine Angestellten haben – Zum Leben zu wenig aber zum Sterben zu viel.
Jetzt wäre die Chance da, einen Sportkanal zu schaffen, der noch attraktiver ist als in der Vergangenheit. Der öffentlich-rechtliche Sender muss die Vielfalt des Sports abbilden und ich kann mir vorstellen, dass mit attraktiven Talk-Runden und einer guten Berichterstattung durchaus mit dem neuen Finanzierungssystem ein wichtiger Beitrag für den Sport geleistet werden kann.“
Im Standard wurde berichtet, dass das Aus des Senders auch neue Chancen mit sich bringt, wie zum Beispiel einem größeren Streaming-Angebot: Wie stehen sie zu einer digitalen Plattform für den heimischen Sport?
„Eine digitale Plattform anzudenken, ist positiv, nur aktuell nicht möglich. Das vom ORF veröffentlichte Konzept ist in meinen Augen keines. Es handelt sich lediglich um Überschriften, die man plötzlich hinausgeschossen hat aber inhaltlich wird nur gesagt, dass sie den Spitzen- und Breitensport auf ORF 1 verlagern und eine digitale Plattform erstellen wollen, aber das geht jetzt nicht. Der öffentlich-rechtliche Sender hat jetzt einen Auftrag und man kann diese digitale Plattform nicht von heute auf morgen auf die Beine stellen. Es kann und soll gerne so sein, dass digitale Plattformen in fünf bis sechs Jahren einen größeren Stellenwert haben aber aktuell brauchen wir auch einen attraktiven Sportkanal, sonst wird der Auftrag nicht erfüllt.“
Hatten Sie bereits Kontakt zum vermeintlich neuen Sportchef Herr Aigelsreiter?
„Nein, da hatte ich noch keinen Kontakt und ich betone, es hat durch diese Vorgehensweise überhaupt zu niemandem von ORF Kontakt gegeben. Was sehr verwunderlich ist, denn wir sind die Interessensvertreter des Sports in Österreich und haben einen riesigen Schulterschluss zwischen Sportunion, ASKÖ, ASVÖ und den Fachverbänden, die unseren offenen Brief mitentschlossen haben.“