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Hervis: „Wir ändern unseren Ansatz, wie wir auf Kunden zugehen“ [Exklusiv]

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Oliver Seda ist seit eineinhalb Jahren Geschäftsführer bei Hervis, davor war er beim Mutterkonzern Spar. Beim bald ehemaligen Sportdiscounter führt er derzeit einen großen Changeprozess durch, den Seda im Exklusiv-Interview mit sportsbusiness.de detailliert erklärt.

++ sportsbusiness.de exklusiv von Georg Sander ++

Event-Tipp: 25 Store-Relaunches in 12 Monaten unterstreichen den engagierten Transformationskurs von Hervis. Damit wurden in den letzten beiden Jahren bereits ein Viertel aller europäischen Filialen komplett modernisiert. Mit der Omnichannel-Ausrichtung soll dabei der Weg an die Spitze des Sporthandels in Europa gelingen. Wie sieht die Wachstumsstrategie aus? Welche Auswirkungen hat Omnichannel auf die B2B-Partnerschaften? Darüber spricht Oliver Seda bei Sport & Marke am 2. Mai in Wien.

sportsbusiness.de: Wie geht es dem Sporthandel nun, nachdem die Corona-Restriktionen 2022 langsam ausgelaufen sind?

Oliver Seda: Unabhängig von der Pandemie und den Energiekosten gibt es zwei große Themen im Sportartikelhandel. Das erste Thema ist Gesundheit. Das hat durch die Pandemie einen Schub bekommen und ist zum Megatrend geworden. Wie alle diese Trends entwickelt er sich langsam und bleibt. Bewegung im weitesten Sinn und Gesundheitsbewusstsein tun dem Sportartikelhandel enorm gut. Es gibt ein verändertes Verhalten der Kund:innen. In Wahrheit haben wir früher lange Sortimentsgruppen verkauft, die eher zu einem Textilhändler passen. Hervis kommt ja aus dem Sportdiscount, 2015, 16, 17 hatten wir Umsätze mit Bluejeans, die waren durchaus beeindruckend, aber mit Sport hatte das wenig zu tun. Freizeitschuhe sind auch heute noch ein Thema – aber es wird viel sportlicher, das ist für die gesamte Branche gut. Das zweite Thema ist die Mobilitätswende. Auch das hat zunächst wenig mit Sport zu tun. Aber das eBike ist etwas Sportliches und eröffnet jedem, unabhängig von Ausdauer und Fitness, neue Möglichkeiten. Viele würden sonst nicht mehr Rad fahren, man bewegt sich, schließlich ist es ja kein Mopedfahren. Beide Trends sind Megatrends und haben vieles im Sportartikelhandel verändert.

sportsbusiness.de: Aber wie bindet man nun jene Kund:innen, die sich – durchaus höherpreisiges – neues Sportgerät gekauft haben? Ein eBike kostet ja eine Stange Geld, das kauft man sich ja nicht jährlich, wie es etwa bei Laufschuhen der Fall wäre.

Seda: Ich möchte ausholen. Wir sind ja auf dem Weg zum führenden Sportartikelhändler Europas und denken in Bastionen. Wir ändern unseren grundsätzlichen Ansatz, wie wir auf Kunden zugehen. Der Fokus liegt auf Wiederkehrer:innen, die ein Bike oder Skiausrüstung gekauft haben. Sie brauchen den entsprechenden Service. Wenn ich einen Store mit der Bastion „Bike“ habe, muss man die entsprechende Expertise vor Ort haben. Die Menschen wollen ein Bike-Service, sie wollen das Bike weiterentwickeln und kommen so wieder. Ein zentraler Punkt beim Bike ist eben die Kompetenz. Gerade beim eBike ist der Serviceanteil um ein Vielfaches höher als beim normalen Bike, was vor allem an Verschleißteilen wie Bremsen liegt. Das schafft Kontaktpunkte. Bei Einsteiger:innen, etwa bei den vielen, die in den letzten Jahren mit dem Skitourgehen angefangen haben, erleben wir sehr deutlich, dass die, die den Sport ausprobieren, eine Erstausstattung kaufen – und dann wissen sie klarer, welches Equipment sie brauchen. Wir bespielen sie mit 360-Grad mit Content. Wir zeigen auf, was man alles brauchen könnte, was sicherheits-relevant ist oder welche Innovationen es gibt. Wenn wer ein Einsteigerset hat, wird er sich dann nach einiger Zeit auch etwas kaufen, was zu den eigenen Bedürfnissen passt, also für den Aufstieg, die Abfahrt, off-Piste und so weiter. Das betrifft Ski und Schuhe, viele kaufen auch beim Einstieg eine günstige Bindung und kaufen dann eine bessere.


Wir bilden die Mitarbeiter:innen ganz stark aus. Gemeinsam mit unseren Industriepartnern können sie zu neuen Produkten Erfahrungen sammeln. Man kann Kund:innen im Store ja nicht so beraten, dass man die Industrieangaben vorliest.

Oliver Seda

sportsbusiness.de: Stationärer Handel lebt von Beratung, gerade im Sport. Das verursacht natürlich Kosten – wie kann man hier den Spagat zwischen guter Beratung und somit zufriedenen Kund:innen und Wirtschaftlichkeit schaffen, gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten?

Seda: Unser Ansatz ist es, uns nicht auf alles zu konzentrieren. Fußball hat bei uns praktisch kaum mehr Bedeutung. Dort, wo wir Bastionen setzen, gibt es die volle Ausprägung. Das funktioniert nur mit wahnsinnig vielen Mitarbeiter:innen auf 3.500 Quadratmetern – oder durch Fokussierung. Es gibt Outdoor inkl. Skitour, Winter mit Alpin und Langlauf, Bike und Running. Wir bilden die Mitarbeiter:innen ganz stark aus, haben fast ausschließlich lange und aufwändige Outdoortrainings mit den Bastionsverkäufer:innen. Gemeinsam mit unseren Industriepartnern können sie zu neuen Produkten Erfahrungen sammeln. Man kann Kund:innen im Store ja nicht so beraten, dass man die Industrieangaben vorliest. Wenn ich einen Schuh nicht gelaufen bin, wird es ganz schwierig, Kund:innen den zu erklären und warum er so ist, wie er ist. Wir haben regelmäßige Lauftrainings und große Schulungsformate für Outdoor und Winter. Die dauern jeweils eine Woche und wir schulen je 150 Mitarbeiter:innen auf alle neuen Produkte. So können wir in allen unseren 106 Filialen flächendeckend Fachberatung in den Bastionen anbieten.

sportsbusiness.de: Man informiert sich per Web und App, aber was ist Ihre ideale Customer Journey?

Seda: Es gibt detaillierte Überlegungen zu unseren Storeformaten. Wir wollen definieren, welche Kund:innen wir ansprechen und welche Bedürfnisse diese haben. Daraus ergibt sich, wie viel Fläche das Sortiment im Laden bekommt und was wir überhaupt führen. Es gibt die Kategorien good-better-best. Wenn ich meine Kund:innen-Ansprüche definiere, weiß ich, wie breit das Sortiment in diesen Kategorien sein muss. Das führt dazu, dass wir beispielsweise die Einstiegspreisklasse auch einmal weglassen. Wo wir einen Bastionenstore zu Running haben, gibt es keine „good“-Kategorie. Wir haben ja auch über Skitouren gesprochen. Da haben wir den Hervis-Skitour-Winter mit der Skitour-Gaudi in St. Johann, gemeinsam mit dem La Sportiva-Rennteam, das unsere Kund:innen begleitet. Da waren 700 Menschen mit. Da aktivieren wir im Store, im Web und über die App. Das ist beeindruckend.

Neuer Hervis-Store in Villach (Foto: © Gernot Gleiss)

sportsbusiness.de: Also 360-Grad, dort wo es die Kund:innen brauchen, das ist die Omnichannel-Strategie. Wie bespielt man das im Bereich B2B?

Seda: Wir waren jüngst mit Puma und Adidas drei Tage unterwegs und haben gemeinsam geschaut, welche Möglichkeiten es gibt, um das Sortiment zu verbessern. Das machen wir mit unseren Industriepartner:innen. So gibt es für die Kund:innen viel mehr Auswahl als es am POS geben kann. Wir stimmen auch unseren Content aufeinander ab, integrieren sie. Gemeinsam entwickelt man auf digitalen Kanälen mehr Kraft. Es gibt Projekte mit Joint-Business-Plänen, um Bedürfnisse besser zu bedienen. Im Idealfall überlässt man einander die Bereiche, die man besser kann.


 2020 haben wir den Weg eingeschlagen, den Diskont zu verlassen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen und regionale Unterschiede. Unser Anspruch ist es aber, Sportartikelfachhändler zu sein.

Oliver Seda

sportsbusiness.de: 25 Store-Relaunches in 12 Monaten unterstreichen den engagierten Transformationskurs von Hervis. Damit wurde in den letzten beiden Jahren bereits ein Viertel aller europäischen Filialen komplett modernisiert – weniger Diskont, mehr Fachhandel ist das Ziel.

Seda: 2020 haben wir den Weg eingeschlagen, den Diskont zu verlassen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen und regionale Unterschiede. Unser Anspruch ist es aber, Sportartikelfachhändler zu sein. Die zentrale Anlaufstelle in den Bastionen wird der Servicepunkt. Wer einen Schuh kaufen will, bekommt dort in Sekundenschnelle ein 3D-Scan des Fußes machen. So kann man die ideale Passform herausfinden. Dazu braucht es allerdings bauliche Maßnahmen. Auch das machen wir mit Hochdruck.

sportsbusiness.de: Musste man auch vom Diskont weg, weil internationale Discounter auf den Markt drängen?

Seda: Das Kundenbedürfnis ist ein anderes geworden, das hat weniger mit unseren Mitbewerber:innen zu tun. Wir sehen, dass das Kundenbedürfnis so ist, dass Kund:innen schnell und einfach Orientierung bekommen, auch in der Selbstbedienung. Wenn es dann Beratung gibt, dann wollen sie qualifizierte Beratung. Alles, aber nichts richtig – das ist heutzutage ein uninteressantes Format. Wir haben einen Customer First-Gedanken. Darin sehen wir auch eine Chance, uns klar vom Wettbewerb zu differenzieren.

sportsbusiness.de: Was ist das Ziel?

Seda: Wir wollen der führende Omnichannel-Sportartikelhändler Europas werden. Durch unsere Struktur haben wir den Vorteil, hier Stringenz herzustellen. Es gibt zwei Mitbewerber, die genossenschaftlich organisiert sind, da geht das nicht. Ein anderer Großer ist im SB-Bereich für den Sporteinsteiger da. Es gibt viele gute Fachhändler, aber wir können das flächendeckend und 360-Grad anbieten und beide Welten verbinden. Ein Beispiel: Wenn die Kund:innen zustimmen, bekommen sie die angesprochenen Fußanalysedaten, die kann man hinterlegen und bei jedem Online-Einkauf nutzen. Sie bekommen wahrscheinlich einen passenderen Schuh und es gibt weniger Retouren. Eine Win-Win-Situation. Wenn man das an 250 Standorten in ganz Europa hat, ist das ein echter USP. Das können andere nicht.


Für unser neues Konzept brauchen wir natürlich mehr Fach-Personal. Die demografische Entwicklung war aber absehbar. Ja, es ist eine Herausforderung, aber Sport ist emotionalisierend, das ist wohl leichter als im Lebensmitteleinzelhandel.

Oliver Seda

sportsbusiness.de: Dabei sind die Zeiten herausfordernd: Pandemie, Lieferkette, Energiekosten, Teuerung bei Baukosten, Inflation, Fachkräftemangel. Welches Problem hatten Sie denn nicht?

Seda: Es gibt wahrscheinlich kaum einen schwierigeren Zeitpunkt für einen derartigen Chance-Prozess. Es hilft aber nichts. Das, was wir tun, müssen wir bestmöglich machen. Die Lieferkette beim Fahrrad wird aber wohl erst 2025 wieder normal sein. Für heuer haben wir uns aber schon – auch mit etwas Risiko – alle Fahrräder gesichert, die wir brauchen. Die Lieferkette wird dieses Jahr kein Problem, aber eher das frei verfügbare Einkommen in manchen unserer Länder.

sportsbusiness.de: Wie sieht es bei Fachkräften aus?

Seda: Für unser neues Konzept brauchen wir natürlich mehr Fach-Personal. Die demografische Entwicklung war aber absehbar. Ja, es ist eine Herausforderung, aber Sport ist emotionalisierend, das ist wohl leichter als im Lebensmitteleinzelhandel.

SIDAS Digital Feet Lab im Hervis-Story (Foto: © Gernot Gleiss)

sportsbusiness.de: Ein dominierendes Thema ist auch die Klimakrise. Wo können Sie da ansetzen?

Seda: Das ist ein ernstes Thema und für uns entscheidend. Wir müssen die Klimakrise so schnell wie möglich in den Griff bekommen bzw. sie nicht noch mehr ausarten zu lassen. Die Relaunches der Stores bieten die Chance, so nachhaltig wie möglich zu werden. Wir sind zwar auch viel in Fachmarkt- und Einkaufszentren, da können wir auf deren Energiequellen wenig Einfluss nehmen, aber im Store können wir viel tun. Etwa LED-Beleuchtung oder Temperaturregulierung. Die interne Klimabilanz spielt nicht nur kostentechnisch eine Rolle, sondern weil Sport auch Outdoor geschieht und wir davon leben, dass unsere Umwelt in Ordnung ist. Wir haben da auch innerhalb von Spar viel Expertise. Bei unserer Eigenmarke Kilimanjaro können wir in der Warenbeschaffung von Anfang bis Ende beeinflussen. Das geht bei Marken, die wir als flächendeckender Händler verkaufen müssen, nicht. Das schmerzt, aber da muss man wirtschaftlich denken, wenn eine Weltmarke nicht so nachhaltig produziert. Wenn die Kund:innen sie wollen, werde ich es notwendigerweise verkaufen müssen. Was wir beeinflussen können, machen wir.

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